Selbstverteidigung ist ein zentrales Thema für jeden, der sich und andere schützen möchte – sei es im Alltag, beim abendlichen Spaziergang oder im Rahmen des Trainings einer traditionellen Kampfkunst. Doch wie weit darfst Du in einer Notsituation gehen? Was ist vom Gesetzgeber in Deutschland tatsächlich erlaubt?

Viele Einsteiger, aber auch erfahrene Kampfkünstler haben Fragen zu den rechtlichen Grenzen ihres Handelns. Das Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen ist in diesem Zusammenhang ebenso bedeutend wie die praktische Fähigkeit zur Verteidigung. In diesem Beitrag erhältst Du einen Überblick über die gesetzlichen Bestimmungen zur Selbstverteidigung in Deutschland und das Konzept der Verhältnismäßigkeit.
Ziel ist es, Dir rechtliches Wissen zu vermitteln, denn wer sich verteidigen muss, sollte auch wissen, wie das Gesetz auf sein Handeln blickt. So kannst Du mögliche Fallstricke vermeiden und die richtige Balance zwischen Handlungsfähigkeit und Gesetzestreue wahren.
Selbstverteidigung im deutschen Recht: Der Grundsatz des Notwehrrechts
Definition der Notwehr
Das deutsche Strafrecht gibt jedem Menschen das Recht, sich im Falle eines rechtswidrigen Angriffs zu verteidigen. Die Grundlage dafür findet sich in § 32 des Strafgesetzbuchs (StGB). Demnach ist Notwehr die “Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden”. Zwei Aspekte sind dabei besonders wichtig: Der Angriff muss gegenwärtig – also unmittelbar bevorstehend, bereits beginnend oder noch andauernd – sein, und er muss rechtswidrig erfolgen. Notwehr ist somit nicht zulässig, wenn lediglich eine verbale Auseinandersetzung oder eine Provokation vorliegt, solange daraus keine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum entsteht.
Das Notwehrrecht schützt nicht nur das eigene Leben und die körperliche Unversehrtheit, sondern auch andere Rechtsgüter wie Eigentum, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung. Ebenso ist die sogenannte Nothilfe – das Eingreifen zugunsten einer dritten Person – vom Gesetz anerkannt.
Rechtliche Grenzen: Wann liegt Notwehr vor?
Auch wenn das Notwehrrecht grundsätzlich weit gefasst ist, gilt es einige Voraussetzungen zu beachten. Notwehr darf nur ausgeübt werden, solange der Angriff andauert. Ist die Bedrohung vorbei – etwa, weil der Angreifer geflohen oder überwältigt wurde – besteht kein Recht mehr zur Selbstverteidigung. Besonders entscheidend ist, dass der Verteidigende nicht selbst der Angreifer ist. Unklare Situationen – zum Beispiel, wenn sich zwei Personen gegenseitig der Randale bezichtigen – werden vor Gericht häufig sorgfältig geprüft.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die sogenannte Notwehrprovokation: Wer absichtlich Konflikte provoziert, um einen Vorwand zur Gewaltanwendung zu schaffen, verliert unter Umständen sein Notwehrrecht. Das dient dem Schutz vor Missbrauch des Gesetzes und stellt sicher, dass Selbstverteidigung nicht zur Rechtfertigung eigener Aggressionen missbraucht wird.
Die Grenzen der Verteidigung: Überschreitung und Konsequenzen
Obwohl das Notwehrrecht eine entschiedene Verteidigung erlaubt, setzt es der Intensität der Verteidigung Grenzen. Werden diese überschritten, kann aus ursprünglich erlaubter Selbstverteidigung ein strafbares Verhalten werden. Ein typisches Beispiel ist die sogenannte “Notwehrexzess”: Hier verteidigt sich jemand auch dann noch weiter, wenn die Bedrohung bereits vorüber ist, oder wendet Mittel an, die im Verhältnis zur Gefahr deutlich überzogen sind (z.B. lebensgefährliche Angriffe bei Bagatelldelikten wie einer einfachen Ohrfeige).
Besonders kritisch wird der sogenannte “krasse Notwehrexzess” gesehen, wenn also aus Wut oder Vergeltung weitergekämpft wird. Das Gesetz kann in Ausnahmefällen einen strafmildernden “intensiven Notwehrexzess” anerkennen – zum Beispiel, wenn jemand im Affekt überreagiert und aufgrund von Angst oder Schrecken zu weit geht. Dennoch gilt: Wer sein Gegenüber schwer verletzt oder gar tötet, obwohl das nicht notwendig war, muss mit strafrechtlichen Folgen rechnen.
Spezielle Aspekte der Selbstverteidigung für Kampfkünstler
Die Sicht auf Training und “besondere Fähigkeiten”
Wer regelmäßig Kampfkunst trainiert, schärft nicht nur Körper und Geist, sondern erlangt auch spezielle Fähigkeiten. Viele sind daher unsicher: Werden Kampfsportler oder Kampfkünstler im Ernstfall strenger beurteilt? Die Antwort: In bestimmten Situationen kann ein Gericht tatsächlich annehmen, dass von besonders ausgebildeten Personen eine höhere Selbstbeherrschung erwartet wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn die über besonders wirksame Techniken verfügen.
Im Einzelfall betrachtet das Gericht, ob ein Kampfkünstler situationsadäquat, nicht überzogen und maßvoll gehandelt hat. Die Fähigkeit, sich effizient und effektiv zu verteidigen, darf nicht dazu führen, dem Angreifer übermäßig schweren Schaden zuzufügen, wenn auch weniger gefährliche Techniken ausreichend gewesen wären. Daran sollten auch langjährige Kampfkünstler denken und in der Ausbildung den Schwerpunkt nicht nur auf die Technik, sondern auch auf Selbstkontrolle, Deeskalation und Gefahrenerkennung legen.
Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit im Training
Für Kampfkünstler und traditionelle Kampfsportschulen ist deshalb die Lehre des richtigen Verhaltens in Gefahrensituationen entscheidend. Gute Schulen vermitteln nicht nur Schlag- und Abwehrtechniken, sondern lehren auch verbale Deeskalationsstrategien, das Erkennen von Gefahrensituationen und das rechtlich angemessene Verhalten im Ernstfall. Das Wissen um die Grenzen der Selbstverteidigung ist daher ein wichtiger Teil jeder verantwortungsvollen Ausbildung.
In der unmittelbaren Gefahr zählt zwar oft der Instinkt – aber klare Grundlagen und Wissen über die Verhältnismäßigkeit helfen, spätere strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
Praktische Fallbeispiele und Hinweise für Einsteiger
- Der Angriff auf offener Straße: Werden Sie auf dem Nachhauseweg angegriffen, dürfen Sie sich unmittelbar verteidigen – je nach Intensität des Angriffs auch mit harten Mitteln. Wird nur Ihr Eigentum bedroht (z. B. jemand entreißt Ihre Tasche), dürfen Sie das Notwendige tun, um Ihr Eigentum zurückzugewinnen, aber keine Körperverletzung nach dem Ende des Angriffs zufügen.
- Bedrohung durch Gruppen: Bei mehreren Angreifern wird Ihnen vom Gesetzgeber nicht zugemutet, abzuwarten oder sich zurückzuziehen, wenn dies Ihre Sicherheit gefährdet. Auch hier gilt die Erforderlichkeit, aber Flucht ist nicht immer zumutbar.
- Waffen in der Selbstverteidigung: Die Anwendung von Waffen – zu denen auch Alltagsgegenstände wie Regenschirme zählen können – kann problematisch sein. Das Gesetz verlangt klar, dass gefährliche Mittel nur benutzt werden dürfen, wenn keine anderen Möglichkeiten der Abwehr bestehen. Der Einsatz muss immer verhältnismäßig bleiben.
Fazit: Wissen, Grenzen und Vorsicht bilden Sicherheit
Die Rechtslage zur Selbstverteidigung in Deutschland lässt dem Einzelnen einen großen Handlungsspielraum, setzt diesem jedoch auch klare und nachvollziehbare Grenzen. Entscheidend sind die Prinzipien der Gegenwärtigkeit des Angriffs, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit Ihrer Abwehrhandlung. Insbesondere für traditionell ausgebildete Kampfkünstler ist die Kenntnis der gesetzlichen Rahmenbedingungen so bedeutend wie die praktische Fähigkeit zur Verteidigung selbst.
Das Verständnis für die Notwehrgesetze hilft Ihnen nicht nur, sich im Ernstfall korrekt und risikobewusst zu verhalten, sondern schützt Sie auch vor strafrechtlichen Konsequenzen. Verantwortungsvolles Training umfasst daher immer auch die Auseinandersetzung mit rechtlichen Fragen.
Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihr Wissen regelmäßig zu vertiefen und sich im Training oder bei einem Probetraining umfassend darüber zu informieren, wie Sie in kritischen Situationen angemessen reagieren.